Maya-Architektur auf Yucatán • Auf den Spuren von Teobert Maler


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Selbstporträt Teobert Malers im Alter von etwa 50 Jahren

"Meine Jugend verlebte ich sehr unglücklich, da mein Vater ein finsterer, misstrauischer, geiziger Mann war, dessen böse Eigenschaften sich sogar bis zu einem gewissen Grade von Verrücktheit steigerten." 71 lose Blätter, eng mit Schreibmaschine beschrieben, darüber der schlichte Titel "Leben meiner Jugend":

Nur noch eine nüchterne Abschrift im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum gibt wieder, was Teobert Maler 1868, gerade 26-jährig, als ersten autobiographischen Rückblick verfasste. Nichts deutet zu diesem Zeitpunkt darauf hin, dass er einmal zu den großen Entdeckern der antiken Mayakultur gehören wird.

© Lorenz Töpperwien, 2003
www.lorenztoepperwien.de

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BILDER AUS EINER ANDEREN WELT


Auf den Spuren eines vergessenen Maya-Forschers

Fahlgraue Regenwolken reiben sich am niedrigen Rand des Himmels und werfen ihren unfreundlichen Schatten auf die kahlgerodete Lichtung. Plötzlich reißt der Wolkenvorhang auf. Gleißendes Sonnenlicht ergießt sich über mächtig aufragendes Gemäuer, meißelt aus warmen Ockertönen eine glasharte Geometrie aus Licht und Schatten. Blankgeputzte Ruinen, effektvoll flankiert von ungeordneten Trümmerhaufen und malerisch eingebettet in eine gepflegte Parkanlage - das ist die antike Mayastadt Labná, keine zwei Autostunden von der modernen Metropole Mérida entfernt und einer der vielen Orte auf Yucatán, an denen Mexiko heute stolz seine kulturellen Wurzeln inszeniert.

"17.12.1886. Ab nach Labná. 18.12. Mit Aushauen begonnen. 19.12. Weiter ausgehauen." ... Knapp 120 Jahre früher. Dumpfe Axthiebe hallen durch den Wald, Macheten teilen das dichte Unterholz. Der Deutsch-Österreicher Teobert Maler, ehemaliger Söldner und begeisterter Pionier der noch jungen Maya-Forschung, beginnt seine beispiellose Entdeckungsreise durch die versunkene Welt eines uralten Kulturvolkes. Auf zahlreichen Expeditionen kämpft er sich verbissen durch die dichten Tropenwälder Yucatáns. In knapp 20 Jahren erkundet er über 150 Ruinenorte, von denen er viele selbst entdeckt. Er liefert präzise Beschreibungen, er vermißt, zeichnet Pläne, macht Skizzen und - er photographiert. Vier Kameras und 20 Objektive schleppt er zeitweise durch den Dschungel. Seine Bilder sind bis auf wenige Ausnahmen von bestechender Qualität. Ihren unschätzbaren wissenschaftlichen Wert dokumentiert Malers monumentales Werk "Península Yucatán", 1997 aus dem Nachlass herausgegeben von Hanns J. Prem. Hier finden sich auch seine Tagebucheinträge aus den Jahren 1886 bis 1895.


Labná, Durchgangsbogen
(Foto: T. Maler)
Labná liegt im Herzen des nordyucatekischen Puuc-Gebiets. Seine Blütezeit fällt in die Endklassik (ca. 790 – 910 n. Chr.). Hier beginnt 1886 die lange Reise des Teobert Maler durch die Ruinenstädte der Maya. Tausende von Kilometern legt er zurück, zu Pferd, zu Fuß, im Kanu, per Eisenbahn und Dampfschiff. Edward Thompson, mit dem er in herzlicher Feindschaft verbunden war, schreibt dazu mit einem leisen Kopfschütteln: "Der deutsche Mr. Maler kam nach Mérida zurück und sah wie ein Gespenst aus. Man sollte meinen, wenn man ihn ansieht, dass seine Arbeit damit zuende ist, aber er hat die deutsche Dickköpfigkeit und den Mut und füllt sich mit Chinin und Arsen an in der Absicht, in der nächsten Saison eine weitere Reise zu machen"
[Península Yucatán (1997)].


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Nach Mexiko in Soldatenstiefeln


Am 12. Januar 1842 kommt Teobert Maler in Rom zur Welt, als Sohn des badischen Geschäftsträgers beim Heiligen Stuhl. Zwei Jahre später, auf der Rückreise der Familie nach Deutschland, stirbt die Mutter. Fortan leidet Teobert unter dem ungeliebten Vater, zieht sich zurück, liest viel und wird "sehr früh reif, namentlich sehr aufgeklärt". Er hat eine ältere Schwester, die er aber nur einmal erwähnt. 1857 nimmt er auf Drängen des Vaters in Karlsruhe das Ingenieur-Studium auf. Nebenher studiert er, was ihm wirklich gefällt: Architektur. Mit 20 Jahren sagt er der Technischen Hochschule frühzeitig ade und reist nach Wien, wo er vorübergehend als Gehilfe in einem Architekturbüro arbeitet. Bezaubert von dem altehrwürdigen Charme der Donaumetropole, nimmt er kurzentschlossen die österreichische Staatsbürgerschaft an.

Im Juni 1864 trifft Maler die folgenschwerste Entscheidung seines Lebens: Er meldet sich als Freiwilliger für das Expeditionskorps des österreichischen Erzherzogs Maximilian in Mexiko. Dort hatten endlose Bürgerkriege die Wirtschaft lahmgelegt, und nun sollte Maximilian, auf Frankreichs Betreiben zum Kaiser von Mexiko erhoben, wieder für Ordnung sorgen und die europäischen Außenstände eintreiben. Am 30. Dezember 1864, kurz vor seinem 23. Geburtstag, betritt Teobert Maler als frischgebackener Kadett der kaiserlichen Pioniere im Hafen von Veracruz erstmals mexikanischen Boden.



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Abenteuer Urwald


Frühmorgens, kurz nach halb sieben. Irgendwo hinter den niedrigen Baumwipfeln schwimmt eine träge Sonne auf dem dunstigen Horizont. Blaßblau und wolkenlos wölbt sich der Himmel über die dicht bewaldeten Hügel des nordyucatekischen Puuc-Landes. Heute wird es ernst. Wir verlassen die ausgetretenen Touristenpfade und schicken uns an, der Spur Teobert Malers in das filzige Dickicht des yucatekischen Buschwalds zu folgen. Unser Tagesziel: der Osttempel der weitläufigen Mayastadt Sabacché. Unsere Orientierungshilfen: ein grober Ruinenplan der Umgebung und ein einheimischer Führer, der allerdings den genauen Weg nicht kennt.

Und schon sind wir mittendrin in einer scheinbar pfadlosen Wildnis, kämpfen uns durch abwechselnd dichtes und lichtes Unterholz, stolpern über umgestürzte Baumstämme, winden uns um dornige Ranken. Nach einer Ewigkeit, so scheint es uns, endlich die ersten Ruinenreste, armselige Trümmer, wir eilen weiter, das kann nicht unser Tempel sein. Bald türmt sich linker Hand eine Pyramide, nur noch Geröll und Schutt, ein trauriges Bild - wieder nicht das, was wir suchen. Immer ungeduldiger hasten wir voran, fiebernd vor Aufregung, die Arme zerkratzt, die Hände zerstochen, doch es kommt nichts mehr, die Hoffnung war trügerisch. Erst am nächsten Tag werden wir überraschend fündig, nur ein paar hundert Meter weiter - wir waren so dicht dran.

"Dritter Januar 1887. Wir drangen, uns mühsam durch den Wald arbeitend, in östliche Richtung vor, und entdeckten schließlich den zweiten Tempel von Sabacché." Auch Malers Weg zum Osttempel von Sabacché ist mühevoll, und doch führt er auf Anhieb zum Ziel. Überhaupt spricht Maler in seinen Tagebuchnotizen erstaunlich selten von "fruchtlosen Streifereien". Das liegt vor allem an der gründlichen Vorbereitung seiner Expeditionen. Penibel fahndet er in Büchern und Berichten nach Hinweisen auf sehenswerte Ruinen, ausführlich befragt er Verwalter von Hacienden, Kautschuksammler und Holzschläger, Leute also, die sich im Gelände auskennen. Vor Ort holt er weitere Informationen ein, und wo immer möglich, heuert er örtliche Führer an.



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Wanderleben eines Einzelgängers


So rastlos Teobert Maler Yucatán durchquert, so rastlos verbringt er auch seine frühen mexikanischen Jahre nach dem Ende der unglücklichen Regentschaft Maximilians. Intensiv, ja ziellos bereist er das gesamte Gebiet zwischen Mexiko-Stadt und der Provinz Chiapas und hält sich nur selten mehr als sechs Monate an einem Ort auf.

Anfang März 1876 erreicht Teobert Maler eine Nachricht, die seinem unsteten Wanderleben eine völlig neue Perspektive gibt: Sein Vater, der bereits vier Monate zuvor gestorben war, hatte ihm mehr als die Hälfte seines Besitzes vermacht, was einem stattlichen Vermögen gleichkam. Dem Papier nach ist er nun ein wohlhabender Mann, doch auf das Geld wartet er vergeblich. Zwei Jahre später erfährt er auch, warum: Die preußischen Behörden hatten den väterlichen Nachlaß aus heute undurchsichtigen Gründen beschlagnahmt. Erzürnt verläßt Maler sein geliebtes Mexiko und macht sich auf den Weg nach Europa - eine Rückkehr nach über 13 Jahren. Endlos dehnt sich der Rechtsstreit um sein Erbe. In der Zwischenzeit ist er viel unterwegs, hält sich oft in Paris auf und erfüllt sich mit einer Reise in den Kaukasus einen Jugendtraum. Endlich, am 16. Februar 1885, schifft er sich in Le Havre ein, das Geld in der Tasche. Sein Ziel: Sisal, der große Umschlaghafen an der Nordküste Yucatáns.

Die Entscheidung für Yucatán ist für den 43jährigen der Beginn eines neuen Lebens - eines Lebens für die antike Mayakultur, deren Zauber ihn bis zu seinem Tode nicht mehr loslassen wird. Er läßt sich in Ticul nieder, einer bescheidenen Kleinstadt etwa 80 Kilometer südöstlich von Mérida. Von hier aus plant er seinen kühnen Entdeckerfeldzug durch die ruinenreichen Wälder der südmexikanischen Halbinsel. Alles bestimmt und organisiert er selbst: Reiserouten, Dauer der Expeditionen, Transport, Verpflegung, Arbeitskräfte, Photoausrüstung. Für seine Unabhängigkeit zahlt Maler einen hohen Preis: Sein ererbtes Vermögen schrumpft dahin - und er bleibt allein.



Maler-Xlabpak (Foto: T. Maler)
[Península Yucatán (1997)]
Die Photographien Teobert Malers zeugen von einer bewundernswerten Meisterschaft auf diesem Gebiet. Für seine Aufnahmen benutzte er drei Mattscheibenkameras im Format 12x10, 12x9 und 10x8 inch. Vergrößerungen erzielte er mit Hilfe einer Reproduktionskamera. Sie ermöglichte es ihm, Negative bis zu einer Größe von 30x40 Zentimetern zu belichten und davon sehr dauerhafte Photoabzüge auf Platinpapier herzustellen. Maler entwickelte seine Bilder meist noch in der Ruine. Ein 24-seitiges Notizbuch, an dem er sich in seiner photographischen Praxis orientierte, listet Rezepturen für nicht weniger als 30 Entwickler auf – Ergebnis intensiven Zeitschriftenstudiums und des immer wieder gesuchten Austauschs mit namhaften Fachleuten. Aber er verstand sich auch als Künstler, seine Aufnahmen atmen den Geist europäischer Ruinenromantik. Wie auf einem Gemälde setzte er um die antiken Bauwerke Menschen stimmungsvoll in Szene. Es sind seine Arbeiter, Maya wie ihre großen Vorfahren, vor deren Trümmern sie stehen oder lagern, stumme Zeugen einer unwiederbringlich verlorenen Vergangenheit.

"Es gab da ein Mädchen in Ticul. Ich glaube, sie war die Tochter eines Kaufmanns, bei dem er manchmal einen Teil der Ausrüstung für seine Expeditionen kaufte." Leise lächelnd sitzt Renán Manzanilla unter den weiträumigen Arkaden seines Stadthauses in Mérida. Hier verbrachte Teobert Maler seine letzten Jahre, in einer kleinen Villa im Garten des Hauses, die Renáns Vater Gerardo ihm aus Freundschaft überlassen hatte. Damals war Renán noch ein kleiner Junge. "Sie war ein sehr junges Mädchen und hat sich nicht besonders um Don Teoberto gekümmert - er ging damals auf die Fünfzig zu", setzt er mit schelmischer Miene hinzu. "Als er von ihrer Heirat erfuhr, war er sehr zornig."

In finanzieller Hinsicht hat Teobert Maler mehr Glück: Das Peabody-Museum der Harvard University wird auf den rastlosen Photographen aufmerksam. Plötzlich hat Maler einen Geldgeber und damit mehr, als er je zu hoffen wagte. In den folgenden sieben Jahren beauftragt ihn das Museum mit drei ausgedehnten Forschungs-Expeditionen. Seine anfängliche Begeisterung weicht jedoch schon bald zunehmenden Argwohn. Er mäkelt an den Veröffentlichungen seiner Arbeit herum und beklagt sich bitter darüber, daß er zu wenig Geld bekommt - in der Tat muß er für seine aufwendigen Expeditionen oft aus eigener Tasche zuzahlen. Aber da ist noch etwas: Maler kann sich nicht damit abfinden, daß das Museum auch seinen Erzrivalen Edward Thompson unter Vertrag hat.



Renan Manzanilla auf der "Bank von Don Teoberto", Mérida
"Thompson verdient es, eingefangen und in ein Irrenhaus unter Beobachtung gestellt zu werden." Im Hamburgischen Museum für Völkerkunde liegt die deutsche Übersetzung eines Artikels, den Maler 1910 in einer Zeitung in Mérida veröffentlichte. Auf 36 Seiten wird darin der amerikanische Konsul und Hobby-Archäologe Edward Thompson als krimineller Ruinenschänder, Grabräuber und Haupt einer Bande "dreister amerikanischer Ausbeuter" diffamiert - zu Unrecht.

Die unflätige Schimpfkanonade wirft ein grelles Licht auf den Sonderling, zu dem sich Maler mit zunehmendem Alter entwickelt. Dazu gehört vor allem seine fatale Fähigkeit zu tiefempfundener Verachtung, die sich mitunter zu regelrechten Haßgefühlen steigert. Dabei hat er es besonders auf seine Forscherkollegen abgesehen, in denen er statt Mitstreitern oft nur übelwollende Konkurrenten sieht.


Hacienda Tabi, ehemalige Zuckerfabrik im Besitz der Familie Manzanilla. Maler nutzte sie verschiedentlich als Stützpunkt für seine Expeditionen.


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Einsamkeit und verletzter Stolz


Diesmal gibt es einen ausgetretenen Pfad, dem wir dankbar folgen. Eidechsen rascheln im trockenen Laub, die Hitze lastet auf uns wie ein unsichtbares Gewicht. Nach einem knappen Kilometer geht es steil bergauf: der Burgberg von Yaxché Xlabpak. Jahrhunderteschwer blickt das wuchtige "Castillo" von seinem natürlichen Hochsitz auf die flachen Täler ringsum. Auf dem überwucherten Dach der Ruine geht ein heißer Wind, unterbrochen von minutenlangen, schweißtreibenden Flauten. Ungehindert schweift der Blick über die sanftgewellte Hügellandschaft des Puuc, überzogen vom dichtgewebten Tuch des niedrigen Buschwalds.



Yaxché-Xlabpak
Auch Teobert Maler genießt die "herrliche Rundschau auf das endlose, ewig grüne Hügelmeer". Ruhe gönnt er sich deshalb keine. Kaum drei Tage nimmt er sich Zeit, um den Ruinenort zu erkunden, dann hastet er schon wieder weiter. Auf diese Weise ist oft monatelang unterwegs, meistens zu Fuß und mit schwerem Gepäck, begleitet von Trägern, die ihm auch die Ruinen freischlagen für seine Photos. Er leidet unter Regen und Hitze, Fieber und Durchfall, Hunger und Einsamkeit. Und doch arbeitet er mit einer Zähigkeit und Ausdauer, als läge darin sein Seelenheil. 1905 unternimmt Maler eine letzte große Expedition, danach erlahmt seine Schaffenskraft. Der 63jährige ist am Ende: Zwei Jahrzehnte aufreibender und kostspieliger Forschungen haben seine Erbschaft verschlungen und seine Gesundheit ruiniert. Mittellos und ruhrkrank zieht er sich immer mehr zurück, empört über eine Welt, die ihm ihre Anerkennung versagt. "Manche nennen ihn einen verschrobenen Menschen, unzugänglich und einen alten Geizhals", schreibt ein amerikanischer Kollege später über ihn. "Aber sie irren sich stark. Ich habe ihn als Gentleman kennengelernt, als eifrigen Wissenschaftler, und als einen besonders guten Freund."



Blick von Yaxché-Xlabpak auf das Puuc-Hügelland
Teobert Maler stirbt am 22. November 1917 in Mérida. Sein Grab auf dem Hauptfriedhof ist verschwunden. Das Regionalmuseum der Stadt ehrt ihn mit einer Büste.

Der Ruinenwächter mahnt uns zur Eile. Es ist fünf Uhr nachmittags - Labná schließt seine Pforten. Wir fahren auf der "Ruta Puuc" Richtung Mérida. Ein Ruinenort nach dem anderen fliegt vorbei: Xlabpak, Sayil, Kabah, Uxmal - gepflegte Grünanlagen, Kassenhäuschen und Kiosk inklusive. Es hat sich viel geändert seit Malers Zeiten. Und doch sind die meisten "seiner" Ruinen noch heute vom Wald überwuchert, wie vor 100 Jahren ... "in der Landschaft einige rafaelische Bäume. Am Himmel fliegen Vögel."


Regionalmuseum in Mérida
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